Wann ist mein Bild fertig?
Vermutlich nie. Da gäbe es immer noch etwas zu tun.
Also echt nie? Aber…irgendwann in einem gewissen Moment fällt dann doch die Entscheidung: Ich höre jetzt auf.
Zuweilen ist es einfach und das Bild zeigt sich klar und deutlich.
Meistens jedoch ist es ein Kampf mit der inneren Fragestellung. Dann wägen wir ab, zögern und im schlechtesten Fall gibt es jetzt einen Stillstand und wir stellen das Bild zur Seite. Wir rühren es vielleicht nie wieder an?
Manchmal habe ich zu früh aufgehört. Schnell fertig. Schnell mit dem Bild zur nächsten Ausstellung, auf Instagram posten oder bei mir im Hotel aufhängen. Zu schnell zufrieden und nach kurzer Zeit gefällt es mir schon nicht mehr.
Oder ich habe zu lange daran herum gemalt. Es wurde sehr fest, zu viele Schichten, zu viele Gedanken und das Bild hat seine Leichtigkeit verloren. Manchmal ist, je länger ich an einem Bild „rummache“, desto schwieriger. Nicht selten bin ich dann frustriert. Denn ich überschreite bei der Arbeit manchmal eine imaginäre Grenze und male weiter, ohne zu bemerken, dass das fertige Werk schon längst vorliegt.
Aber wann ist mein Bild dann fertig?
So unterschiedlich die Technik und die Herangehensweise auch sein mag, die Sehnsucht nach einem starken und präsenten Werk eint uns alle.
Kunst ist nie fertig, nur irgendwann aus den Händen gegeben. Dieses Zitat wird oft Leonardo da Vinci zugeschrieben.
Schauen wir uns noch einmal diese Frage an, mit der ich mich unweigerlich selbst beschäftigen muss und die immer wieder von meinen Malschülern gestellt wird.
Da reden wir meistens von einem »Gefühl« oder von »Intuition«, die uns dabei Hilfe leistet. Das Gefühl von Zufriedenheit (oder innere Ruhe) kann auch ein Hinweis sein.
Alles schön und gut – aber wie bekommt man ein sicheres Gefühl für ein „fertiges“ Bild?
Eine bildnerische Wahrnehmung ist sehr hilfreich. Sie ist bei allen, die Malerei lieben, eigentlich schon vorhanden. Denn es bereitet uns keine Mühe, ein Bild, das wir in einem Atelier, Museum oder in einer Galerie sehen, als »fertig« zu erkennen. Doch auch wenn man fremde Bilder gut zu beurteilen vermag, braucht man bei den eigenen stets mehr Zeit, bis man in der Lage ist, den Pinsel rechtzeitig beiseitezulegen.
Hier meine Tipps, die für deine Entscheidung hilfreich sind:
Trete einen Schritt zurück
und schaue dir dein Bild in Ruhe an. Die beste Methode, die bildnerische Wahrnehmung zu verfeinern, ist es, die Arbeit an einem Bild immer wieder zu unterbrechen und dein Werk für ein paar Augenblicke einfach zu beobachten.
Auch eine längere Pause kann sehr hilfreich sein
Du kannst es dir dabei gemütlich mit einem Tee oder Kaffee machen, einen Stuhl ein paar Schritte vor der Staffelei stellen und den Blick – ohne Urteil, ohne Wertung – über das Bild wandern lassen. Oft merkt man dann, wie gute Gestaltungsmöglichkeiten fast verspielt wären, und zwar nur, weil man zu schnell gearbeitet hat. Durch solche, entspannte Beobachtung eigener Arbeit nimmst du viel deutlicher wahr, was das Bild eigentlich noch braucht und wie sich deine Idee am besten konkretisieren lässt.
Lass es über Nacht ruhen
Kehre dann mit einem frischen Blick zurück. Wenn wir in einem Malprozess sind, werden wir oft eins mit dieser Arbeit. Allerdings identifizieren wir uns oft so sehr, dass wir dann fast betriebsblind sind. Da hilft eine Unterbrechung.
Nimm eine andere Perspektive ein
- Du könntest dich mit deinem Bild vor einen Spiegel stellen. Spiegelverkehrt entdeckst du vielleicht etwas Neues.
- Du kannst dir auch einzelne Ausschnitte mit einem Passepartout anschauen und dabei Interessantes entdecken.
- Mach ein Foto von deiner Arbeit und betrachte es am Computer. Du siehst vermutlich mehr als auf dem kleinen Handy-Bild.
- Stell das Bild auf den Kopf und drehe es auch immer wieder in alle Richtungen.
- Ändere die Lichtsituation. Gehe mit dem Bild raus vor die Tür oder halte eine Lampe von unten, von oben und von der Seite an das Bild.
- Ein Blick aus der Entfernung hilft oft dabei hilft, ein verbleibendes Ungleichgewicht in der Komposition oder Farbgebung zu erkennen.
Wenn dir etwas „falsch“ erscheint
und wenn es aus der Harmonie geraten ist, frage dich: Was stimmt hier nicht?
- Sind die Farben zu traurig, zu bunt, zu viel weiß, zu viel schwarz?
- Wie ist die Stimmung und die Emotionalität?
- Ist der Kontrast zwischen gemischten und klaren Farben zu niedrig?
- Was ist mit dem Kontrast zwischen hell und dunkel?
- Sind Linien und Flächen in Balance?
- Stimmt die Licht- und Schattensituation?
- Gibt es einen Hintergrund und/oder eine Horizontlinie?
- Wie wirkt der Vordergrund?
Gehe im Malprozess klar und entschieden zum nächsten Schritt
Vermutlich führt dich das aus der momentanen malerischen und zeichnerischen Starre. Auf jeden Fall stärkt er deine Fähigkeit, neue und überraschende Impulse zu setzen. Damit erweiterst du deine innere und äußere Beweglichkeit. Bleibe weiterhin mutig. Lasse Altes los, um Neues in deiner Arbeitsweise zu finden und einzubauen.
Frag dein Bild: „Was willst du?“
Klingt schön verrückt, aber viele KünstlerInnen schwören darauf: der Dialog mit dem Bild. Dein Werk „spricht“ mit dir – durch Farben, Formen und die Energie, die es ausstrahlt. Manchmal sagt es dir klar und deutlich: „Lass mich so, wie ich bin!“
Hole dir Feedback von außen
Frage eine Expertin, einen Experten, einen Künstler, eine Künstlerin oder einen kreativen Menschen deines Vertrauens. Allerdings sei vorsichtig vor zu vielen Meinungen! Das könnte dich dann auch wieder durcheinanderbringen.
Lass deine Perfektion los
Ein kleiner „Fehler“ im Bild? Vielleicht macht er genau das Besondere aus. Deine Kunst muss nicht perfekt sein, sie muss DU sein. Viele Werke von großen KünstlerInnen leben von den scheinbaren Unregelmäßigkeiten.
Am Ende entscheidest du, wann dein Bild fertig ist. Vertrauen, Mut und die Freude am Prozess helfen dir dabei. Also: Pinsel weglegen, tief durchatmen – und genießen, was du geschaffen hast!
Konnte ich dir ein bisschen helfen? Ja, dann freue ich mich. Nein, dann schreib mir doch deine Herausforderung mit dem Bild, an dem du gerade nicht weiterkommst.
Ich wünsche euch gutes Gelingen.
Die Margit
P.S. Jetzt male ich doch schon so viele Jahre und immer, wenn ich einen Blog schreibe, lerne ich wieder Neues dazu und nehme es in meine Arbeit mit auf.
Irgendwo habe ich mal gelesen: Hören ist wichtig, lesen ist super, tun hilft. Am meisten nützt allerdings, wenn man anderen Menschen etwas über seine Arbeit berichtet oder lehrt. Das zwingt mich, den Stoff so tief zu verstehen, dass ich ihn in eigene Worte weitergeben kann. Das ist oft richtig anstrengend. Dabei festigt sich allerdings mein Wissen und durchdringt meine Arbeitsweise.